Das Unbekannte muss bekannt werden

Ich öffne mein Handy, wie so oft, und klicke erst auf „Memo“ und dann auf „alle Notizen“. Dort liegen sie, die „Schreibideen 1“ bis „3“ und sind doch so viel mehr als nur Ideen, über die man schreiben kann. […] Oprah Winfrey hat mal gesagt, dass Vergebung bedeutet, die Hoffnung aufzugeben, dass die Vergangenheit anders sein könnte. Hoffe ich, dass unsere Vergangenheit anders sein könnte? Ja. Wie sonst, sollte ich all die Momente rechtfertigen, in denen ich rauf und runter spiele, wie wir uns langsam aber sicher voneinander entfernt haben. […]

Ich öffne mein Handy, wie so oft, und klicke erst auf „Memo“ und dann auf „alle Notizen“. Dort liegen sie, die „Schreibideen 1“ bis „3“ und sind doch so viel mehr als nur Ideen, über die man schreiben kann. Ich weiß noch, wie ich begann „Schreibideen 1“ einzutippen: Ich hatte einen Ted Talk gesehen, der sich damit befasste, wie man die Hilfe von Freunden und Familie nutzen kann, um den richtigen Partner auszuwählen. Damals war ich noch mit dir zusammen und mein Herz schlägt schneller bei dem Gedanken daran. Nicht weil ich dich noch lieben würde, sondern weil es noch weh tut, weil ich mich weiterhin noch in Akzeptanz und Vergebung üben muss. An dir und an mir selber.

Dieser Ted Talk hat mich jedenfalls so beeindruckt, dass ich sofort begann seine Kernaussage in mein Handy zu tippen. Ich fand sie grandios und ich wollte sie immer dabei haben. Wozu? Weil ich damals schon genau fühlte, dass du und ich gnadenlos falsch sind. Und ich hätte im Sommer 2017 schon gehen sollen, so wie ich es versucht hatte. Aber etwas hielt mich zurück und du und ich verbrachten ein weiteres Jahr miteinander, das so bitter endete, wie ich es niemals von dir erwartet hätte. Spirituell gesehen weiß ich, dass ich dieses Jahr und diese Erfahrung brauchte, um weiterzukommen, realistisch gesehen aber schmerzt es bis heute sehr, mir das selber angetan zu haben. Mein Ego sagt, das hätte nie passieren dürfen und dass ich zu gut für dich bin, dass du dich weiterhin nach mir verzehren sollst und dass du eines Tages mindestens auf Knien angekrochen kommen musst, nur um all das auszugleichen, was du mir angetan hast. Aber hast du? Oder habe ich es mir selber angetan? Trage ich nicht auch Verantwortung dafür, was zwischen uns geschehen ist? Das frage ich mich, ohne deine eigene Schuld damit außer Acht zu lassen.

Mit Akzeptanz hat all das leider wenig zu tun. Dieses Klammern und unbewusste Warten auf den Augenblick, in dem du bereuen wirst, in dem es dir schlecht gehen wird, in dem ich mitkriegen werde, dass es zwischen euch aus ist, das ist Gift für mich. Es hält dich am Leben. Es lässt dich in Gedanken bei mir sein und lässt mich fragen, ob du auch manchmal an mich denkst. Ob du mich wirklich so leicht vergessen hast, so schnell wie du gegangen bist. Hab ich mich wirklich so in dir getäuscht? Habe ich dich jemals wirklich gekannt? Hätte ich anders gehandelt, wenn die Plätze vertauscht wären? All diese Fragen werden immer offen bleiben oder wie meine Therapeutin gesagt hat: Ich kann mir die Wahrheit selbst aussuchen, ganz wie Pippi Langstrumpf.

Oprah Winfrey hat mal gesagt, dass Vergebung bedeutet, die Hoffnung aufzugeben, dass die Vergangenheit anders sein könnte. Hoffe ich, dass unsere Vergangenheit anders sein könnte? Ja. Wie sonst könnte ich all die Momente rechtfertigen, in denen ich rauf und runter spiele, wie wir uns langsam aber sicher voneinander entfernt haben. Ich spiele sie rauf und runter und kann nicht fassen, dass du nichts gesagt hast. Du wusstest nicht wie. Und ich habe es gespürt und wollte es nicht sehen. Wollte weiter blind geradeaus gehen, ganz in alter Widder-Manier: „Du hast dich für den Weg entschieden, also gehst du ihn auch.“ Aber warum tat ich es? Aus Angst. Aus reiner kindlicher Angst. Nun hatte ich also jemanden, der mich liebte, nun wollte ich dich auch behalten. Ganz gleich, ob ich dich liebte oder nicht. Denn so richtig tat ich es nie. Das weiß ich jetzt. Abhängigkeit hat nichts mit Liebe zu tun. Hallo Stockholm-Syndrom.

Tut es deshalb weniger weh? Nein. Denn, wenn ich mich davon abwende, dir zu vergeben, bleibt der Schmerz, mir selbst zu vergeben. Und liebtest du mich? Nein. Du hattest den gleichen Kindheitsshit laufen, den ich auch laufen hatte. Deshalb haben wir beide auch so unglaublich gut geklickt und deshalb ist diese Beziehung auch nicht umsonst gewesen. Nein, sie war mehr als umsonst, sie war zerstörend und heilend für mich, denn so holte ich alle Themen an die Oberfläche, die mich klein hielten. Du liebtest mich nicht, du machtest mich klein. Du lehntest mich ab. Und ich? Ich ließ es zu. Denn es war Verhalten, dass mir bekannt war und man fühlt sich vermeintlich wohl mit Allem, das „bekannt“ ist.

Auf einer anderen Ebene war ich mit dir zusammen wieder das kleine Mädchen auf dem Spielplatz, das alleine auf der Schaukel sitzt: Mein Vater sitzt nicht weit von mir auf einer Parkbank und ist versunken in eine Zeitschrift. Stundenlang. Alles ist immer interessanter als ich. Manchmal, wenn ich nach Hause kam, sah er nicht mal vom PC auf. Er war immer da und doch nicht da. Ich durfte jeden Tag spielen, aber ich sollte nicht stören. In der Schule sollte ich laut meine Meinung sagen, weil das meinen Note gut täte, aber zuhause immer still und artig sein. Ich war laut ihm „unmöglich“ und „unterirdisch“ und legte mir schließlich in meinem kindlichen Kopf ein Konzept über Liebe zurecht: Ablehnung ist Zuneigung. Und aus der Summe meiner väterlichen Erfahrungen zog ich unbewusst den Schluss, irgendwie unerwünscht zu sein, darum sei es wohl besser, andere zu meiden.

Als hättest du den Schlüssel zu einer geheimen Schatztruhe, hast du mein Liebeskonzept aufgeschlossen und mich behandelt wie mein Vater mich behandelt hat. Jeden einzelnen Tag hast du mich wissen lassen, dass ich “unterirdisch” und “unmöglich” bin. Und ich war wieder vier Jahre alt und allein auf meiner Schaukel. “Konstruktiv” und “gewaltfrei” hast du deine ständige Kritik genannt, während sie nichts anderes war als die Abspulung deines eigenen mütterlichen Shits. Ich verstehe das jetzt heute. Und ich sehe meine Verantwortung darin. Hätte ich also abspringen können? Ende zwanzig wie ich war. Offensichtlich nicht. Werde ich es in Zukunft können? Hoffentlich. Man sagt, “Rejection is universal protection”, und in so manchem dunklen Moment empfinde ich es als heilend zu wissen, dass eine höhere Macht nach mir schaut und dich mir weh genommen hat, als ich es am meisten brauchte. Ich hätte dich sonst vielleicht nie verlassen.

Abschließend lässt sich sagen, die Beziehung zu dir hat den Dreck in mir rauf geholt. Richtig an die Oberfläche gebracht. Das war schmerzhaft, aber notwendig. Heute weiß ich, dass du es bist, der mindestens genau so viel wie ich vor seinen kindlichen Problemen davon läuft. Aber ich will nicht mehr weg laufen. Als du Ende Juli Schluss gemacht hast, habe ich beschlossen aufzuräumen. Fertig bin ich noch nicht. Wahrscheinlich werde ich es nie sein. Aber ich werde nicht aufgeben.

War die Beziehung zu dir also eine Verschwendung? Ein Verlust? Nein, denn sie hat mir gezeigt, was ich bin und was ich nicht bin. Ich bin nicht unwillkommen. Im Gegenteil. Ich date bloß meinen Vater und das schon seit Jahren. Und weil mir bekannt ist, wie ein Stück Dreck behandelt zu werden, habe ich mich so von dir behandeln lassen. Auf paradoxe Art hatte ich es regelrecht von dir eingefordert und du hast zugestimmt. Hättest du das dürfen? Nein, hättest du nicht. Ist es verzeihbar? Ja, das ist es. Ich werde dir verzeihen. Genauso wie ich mir verzeihen werde. Denn ich weiß jetzt:

Das Unbekannte muss bekannt werden.

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