Wann ist genug genug?

“Doch wie lang soll die After Hour der After Hour noch dauern?” – Jennifer Rostock (“Jenga”)

“Wir sollten uns vielleicht ‘ne kleine Pause nehmen…Wir sollten uns vielleicht bis Montag nicht hören…” finden wir beide, als wir nach einem intensiven, Kräfte zehrenden, auswringenden Telefonat unsere Handys beiseite legen. Ich nehme das smarte Rechteck von meinem mittlerweile heißen Ohr und lege es neben mich, während ich mich langsam zurück in die kühlen Kissen fallen lasse. Sie fühlen sich angenehm in meinem Rücken an, der mir bereits weh tut, weil ich 42 Minuten und 13 Sekunden halb gekrümmt auf meinem Bettrand saß. Nicht aus Trauer, aus Frust. Er will mehr Leidenschaft in der Beziehung, er will mehr Zeit am Wochenende mit mir verbringen, er will, er will, er will, und ich…ich fühle mich ausgelaugt…

“Es läuft einfach nicht zwischen uns” denke ich und starre an die Decke. Ich bin froh, dass ich allein bin. Aus dem Nachbarzimmer kommen leise Bibi&Tina Stimmen und hin und wieder süße Schlafseufzer, gefolgt von regelmäßigen Atemzügen, meiner kleinen Tochter. “Ich muss bald rüber und die Cd ausmachen” denke ich, bevor ich es wirklich tue und mich wieder auf meine grünen und gelben Kissen zurückfallen lasse. Mein Blick ist wieder auf die Decke gerichtet. “Ich würde jetzt gerne eine rauchen” durchfährt es mich, als meine Gedanken beginnen zu ihm und unserer Beziehung abzuschweifen. Vermutlich weil Zigaretten mir immer ein Gefühl von Melancholie und intensiver Gedankenanalyse bereiten. Wie viele Stunden saß ich schon auf meiner kleinen Terrasse vor dem Haus und habe über mein Leben nachgedacht? Aber ich widerstehe dem Impuls, abgesehen davon, dass ich gar keine Zigaretten Zuhause habe und auch nicht wirklich eine rauchen möchte.

Seit über drei Jahren sind wir jetzt zusammen, waren einmal getrennt und haben uns gefühlt 42 Tassen bei jedem Streit um die Ohren gehauen. Und ich merke, wie ich es immer leider werde, meinen Freundinnen ständig zu erzählen, dass es zwischen uns “zur Zeit super läuft”. (Die Betonung liegt dabei auf “zur Zeit”). Ich meine diese Telefonate, diese Entwarnungstelefonate, die man nur mitMenschen führt, die einem wirklich nahe stehen. Mit Jemandem, der bezüglich all deines Beziehungsstresses fast täglich uptodate ist und nach deiner Beziehung mittlerweile nur noch in so einem bestimmten vorsichtigen Ton fragt: “Na, wie läuft es bei euch so?” Eine Zeit lang hat es mich immer aufgeregt, wenn mein Umfeld mich auf diese Weise auf meine Beziehung angesprochen hat. Mittlerweile halte ich es sehr gut aus (und verstehe es). Vielleicht weil ich die Flinte bereits ins Korn geworfen habe… Wer weiß das schon. Manchmal weiß ich gar nicht mehr, ob ich die Flinte, das Korn, der Jäger oder das Häschen bin.

Wann weiß man, dass man genug hat? Wann weiß man, dass man vergeblich kämpft? Woher weiß man, dass eine Investition sich nicht mehr länger lohnt?; die Aktien nur noch am Sinken sind und sogar die Ratten bereits das Boot verlassen…

Ich bin einfach nicht mehr bereit mich zu verbiegen. Und ich bin auch stolz darauf. Doch gleichzeitig gibt es Teile von mir die diesen helläugigen, bärtigen Mann in meinem Leben wollen. Aber wann verbiegt man sich nur noch, statt um was sinnvolles zu kämpfen? Wann ist eine Beziehung sinnvoll? Wann lohnt sich verbiegen für den Kampf? Hören bei einer “echten” Beziehung die Kämpfe jemals auf oder geht es nur darum, den Energiehaushalt im Griff zu haben? Kann man in einer Beziehung jemals “ankommen”?

In meinem Herzen wünsche ich mir das sehr. Meine Sehnsucht nach Ruhe und Frieden ist größer als je in mir. Tolstoi wäre sicher stolz auf mich.